Triefend vor Romantik, schrammt der erste Nobelpreisträger für Literatur in ‚Stances et Poèmes‘ meist nur haarscharf am Pathos vorbei. Lohnt es sich, ein wenig in diesem Frühwerk von Sully Prudhomme zu blättern?
Meine Bewertung: 2/5
In meiner grenzenlosen Überheblichkeit hatte ich gedacht, easy, die paar Gedichte von Sully Prudhomme schaffst Du locker auf Französisch. Ich hatte ja schliesslich was in der Schule gelernt und erst noch die Rekrutenschule im französischsprachigen Teil der Schweiz absolviert.

Da wird mich so ein kleiner Nobelpreisträger auch nicht in die Knie zwingen.
Tja. Wie man sich täuschen kann… Mein Dictionnaire Français wurde zum treuen Begleiter während der Reise durch das 316 Seiten starke Gedichtbändchen. Das hat den Lesegenuss dann doch zuweilen etwas gehemmt.

Geschrieben wurden die Gedichte in diesem Band zwischen 1865 und 1866. Auf eBay hatte ich ein Ausgabe gefunden die Prudhomme’s originaler Verleger Alphonse Lemerre etwa 35-40 Jahre später herausgebracht hat. Leider fehlt der wunderschön vergilbten Ausgabe ein Erscheinungsjahr. Aber aufgrund der auf der letzten Seite beworbenen anderen Werke muss es um die vorletzte Jahrhundertwende gedruckt worden sein.
Parnassiens und l’Art pour l’Art
Eigentlich gehörte Prudhomme während dieser Phase zur Gruppe der ‚Parnassiens‘. Das war eine Gruppe von französischen Schriftstellern, die sich von der Spätromantik abheben wollten und L’Art pour l’Art betrieben. Anstelle von persönlichem Herzschmerz tritt so auch bei Prudhomme meist eine gekünstelte Poesie, die sich daran ergötzt, schöngeistige Ergüsse in perfekte Reime zu giessen.
Das Gedicht ‚Wenn ich Gott wäre‘
Und so kommt auch dieses Buch irgendwie etwas unterkühlt daher. Trotzdem habe ich immer wieder den Eindruck, dass unter der formalen Oberfläche der Gedichte ein romantischer Hauch weht, der sich nicht wegziselieren lässt. Und zuweilen trägt er dann auch ganz dick auf:
SI J'ÉTAIS DIEU Si j’étais Dieu, la mort serait sans proie, Les hommes seraient bons, j’abolirais l’adieu, Et nous ne verserions que des larmes de joie, Si j’étais Dieu. Si j’étais Dieu, de beaux fruits sans écorces Mûriraient ; le travail ne serait plus qu’un jeu, Car nous n’agirions plus que pour sentir nos forces, Si j’étais Dieu. Si j’étais Dieu, pour toi, celle que j’aime, Je déploierais un ciel toujours frais, toujours bleu, Mais je te laisserais, ô mon ange, la même, Si j’étais Dieu.
In der nachfolgenden Übersetzung verzichte ich darauf, den Text künstlich in Reime zu pressen, und versuche, den Sinn möglichste getreu wiederzugeben.
WENN ICH GOTT WÄRE Wenn ich Gott wäre, würde der Tod keine Opfer finden, Die Menschen wären alle gut, das Lebewohl würde ich abschaffen, Und wir würden nur Freudentränen vergiessen, Wenn ich Gott wäre. Wenn ich Gott wäre, würden die guten Früchte ohne Schalen reifen; Arbeit wäre nichts als ein Spiel, Denn wir würden nur noch aktiv werden um unsere eigenen Kräfte zu spüren, Wenn ich Gott wäre. Wenn ich Gott wäre, würde ich für Dich, diejenige die ich liebe, Einen immer neuen und immer blauen Himmel aufspannen, Aber Dich, mein Engel, würde ich so lassen wie Du bist. Wenn ich Gott wäre.
Vielleicht wäre Sully Prudhomme gerne ein Vollblutromantiker gewesen, aber er getraute sich nicht. Egal. Das alles wird auf die Dauer trotzdem etwas ermüdend. Klar, Gedichtbände sind nicht wirklich dafür gemacht, in einem Zug durchgelesen zu werden. Aber langweilen sollte man seine Leser ja auch nicht.
Fazit zu Stances & Poèmes
Stances et Poèmes war eine nette Lektüre, aber mehr nicht. Falls jemand aber sowohl Poesie wie auch französische Literatur mag und Französisch kann, für den lohnt es sich trotzdem das Büchlein zu beschaffen. Am einfachsten ist das wohl über Amazon.